Graue Emissionen und Ansätze zum Klimaschutz

Im Gespräch über Hintergründe, Zahlen, Anreizsysteme und Lösungsstrategien

Gebäude verursachen in Errichtung und Betrieb große Mengen an umweltschädlichen Emissionen. Besonders der Einsatz von Beton führt zu hohen Umweltauswirkungen. Auf die Herstellung von Zement und Beton sind mehr als 8 % des menschengemachten CO₂-Ausstoßes zurückzuführen. Über die Hintergründe und Zahlen sowie über Anreizsysteme und Lösungsstrategien in Gebäudekonstruktion und Baustoffherstellung sprachen wir mit Roland Bechmann, Christian Glock und Christoph Müller.

DBV: Herr Bechmann, müssen wir aufhören zu bauen, um das Klima zu retten?


Roland Bechmann: Nein, das wäre gesellschaftlich nicht zu verantworten. Aber die Art und Weise, wie wir Gebäude errichten und nutzen ist sehr deutlich zu hinterfragen. Denn eins ist klar: Die menschengemachten Emissionen an klimaschädlichen Gasen sind aktuell viel zu hoch. Mit den heute angewendeten Techniken werden wir die 2015 im Pariser Klimaabkommen gesetzten Ziele zur Beschränkung der Erderwärmung auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Zeitraum tatsächlich nicht erreichen können. - Klar ist aber auch: Das Bauwesen hat eine besonders große Verantwortung für den Klimaschutz. Denn es ist anteilig der größte Emittent an CO₂. Und die Emissionen entstehen zum überwiegenden Teil nicht während des Betriebs von Gebäuden, sondern bei deren Erstellung. Wir sprechen dann von so genannten grauen Emissionen. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, ist aber fortan eine drastische Reduktion der grauen Emissionen notwendig. Die gute Nachricht ist: Das ist auch möglich – bislang jedenfalls noch. 

 

 

Das ist zunächst wirklich eine gute Nachricht. Aber wie können die grauen Emissionen reduziert werden. Können Sie das näher erläutern?

 

Roland Bechmann: Ich mache es konkreter: Insbesondere für Gebäude in Massivbauweise ist eine drastische Reduktion notwendig. Mit einem Anteil von bis zu 70 % an den Gesamtemissionen eines Gebäudes kommt dem Tragwerk dabei eine besondere Bedeutung zu. Die Reduktion von grauen Emissionen muss daher bereits während der Planung gezielt adressiert werden. Denn da sitzt der größte Hebel. Dabei müssen die für das Tragwerk ergriffenen Maßnahmen selbstverständlich im Gesamtkontext des Gebäudes betrachtet werden. Denn sie sind durch weitere Einsparmaßnahmen im Bereich der Fassaden, des Innenausbaus und der technischen Gebäude ausrüstung zu ergänzen. Auch in diesen Gebäudebauteilen können und müssen wir CO₂-Emissionen gezielt minimieren – in Planung und Ausführung. Es sind also gemeinschaftliche Anstrengungen notwendig: Politische Entscheidungsträger, Bauherrschaften und planende Unternehmen müssen hier gemeinsam mehr machen. Nur dann ist die Einhaltung der geforderten Zielwerte auch mit den heute verfügbaren Techniken und Materialien möglich.

 

Herr Professor Glock, Herr Bechmann hat politische Entscheidungsträger und Bauherren angesprochen, die an der Lösung mitwirken müssen. Wie kann das gelingen?

 

Christian Glock: Zur Erreichung der ambitionierten Klimaziele sind mittel- und langfristig disruptive Innovationen erforderlich – und zwar technologieoffen, wie es in der Politik immer formuliert wird.  Aber eine signifikante Reduktion der Treibhausgasemissionen kann auch kurzfristig gelingen – sprich mit den bereits heute bekannten Ansätzen, Methoden und Technologien. Vieles was heute bereits möglich ist, wird momentan nicht angewendet, weil es keine Anreize gibt. Also müssen neue und andere Anreize geschaffen werden, damit aus Belohnungvon Verbrauch und Mengen eine Belohnung von Einsparung und Effizienz wird. Der aktuelle CO₂- Preis ist derzeit beispielweise ohne Lenkungswirkung. Daher brauchen wir wahrscheinlich CO₂-Grenzwerte für Bauwerke und Bauteile als sinnvolles Anreizsystem.

 

 

Wie würden solche Anreizsysteme aussehen?


Christian Glock: Nun, ein treibhausgas- und ressourcenreduziertes Bauen – insbesondere mit Beton – erfordert eine Veränderungsdynamik, die ohne historisches Beispiel ist. Die notwendigen strukturellen Veränderungen betreffen die gesamte Wertschöpfungskette von der Projektentwicklung über die Planung und den Bau bis hin zum Betrieb. 

Zwar existieren bereits heute zahlreiche Maßnahmen auf den verschiedenen Ebenen – seien es die Baustoffebene, die Bauteil- oder Bauwerksebene. Sie kommen häufig nicht zur Anwendung, weil sie sich wirtschaftlich nicht lohnen. Und weil man – so muss man es sagen – klimaschädlich bauen darf. Das muss geändert werden. Klimaschädliche Konstruktionen dürfen nicht mehr möglich sein. Dazu muss ein Benchmarksystem etabliert werden, damit Effizienz nachweisbar wird. Und es muss wirtschaftlich attraktiver sein, klimaschonend zu bauen, als klimaschädlich.

 

Sie sagten, dass der CO₂-Preis keine Lenkungswirkung hat. Was muss geändert werden, um eine Lenkungswirkung zu erreichen?


Christian Glock: Zunächst möchte ich das präzisieren. Der CO₂-Preis zeigt mit Blick auf das Bauwesen keine signifikante Lenkungswirkung als branchenübergreifendes und ursachengerechtes Instrument – und zwar bei der aktuellen Marktlage. Der Preis müsste von derzeit etwa 80 € je Tonne CO₂-Äquivalent auf 300 bis 500 € je Tonne steigen. So lange der CO₂-Preis diese Schwelle nicht überschreitet, müssen also weitere Instrumente geschaffen werden, die – stets gemeinsam mit dem CO₂-Preis – eine Lenkungswirkung entfalten. Dabei liegen aus meiner Sicht Grenzwerte für die Treibhausgasemissionen auf Gebäude- und Bauteilebene nahe. Und diese müssen – zumindest bei den aktuellen CO₂-Preisen – unabhängig von wirtschaftlichen Anreizen greifen.

 

Geht das über eine verpflichtende Anwendungvon Bewertungssystemen – bspw. zum nachhaltigen Bauen?


Christian Glock: Bedingt. Ich meine, dass abweichend von bestehenden Bewertungssystemen die grauen Emissionen stärker in den Fokus genommen werden müssen. Denn unter der Voraussetzung des Ausbaus erneuerbarer Energien muss von einer abnehmenden Relevanz der Betriebsemissionen ausgegangen werden.
 

Roland Bechmann: Das sehe ich auch so. Und an der notwendigen Anpassung der Bewertungssysteme wird auch schon gearbeitet.

 

Welche Anreize kann es noch geben?


Christian Glock: Ein Schlüssel liegt sicherlich auch im Erhalt von Bausubstanz. Das muss oberste Priorität haben. Die Wiederverwendung und Sanierung ganzer Bauwerke (Re-Use) und die Wiederverwendung von Bauteilen und Bauelementen (Re-Build) müssen im Vordergrund stehen. Das Recycling (Re-Cycle) von Abbruchmaterial zu Recyclingbeton ist dabei schon zu kurz gesprungen, weil es nur die Materialseite betrachtet und zudem Zement benötigt, also Treibhausgasemissionen verursacht. Eine echte Kreislaufwirtschaft, die wir übrigens dringend brauchen, muss komplexer und kompletter gedacht werden. Dafür muss es auch Anreize geben – also für das vorausschauende Planen und Konstruieren. Aber das ist nach der CO₂-Reduzierung der zweite wichtige Schritt.

 

Herr Professor Müller, gerade wurde ein CO₂-Preis von 300 bis 500 € je Tonne genannt, um eine Lenkungswirkung im Bauwesen zu erzielen. Schockt Sie das?

 

Christoph Müller: Das wäre eine deutliche Erhöhung im Vergleich zur aktuellen Situation. Die Einschätzung der Lenkungswirkung für das Bauwesen kann ich nachvollziehen. Unabhängig davon unternimmt die Zementindustrie vielfältige Anstrengungen, um die CO₂-Emissionen in der Herstellung von Zement zu reduzieren. In der vom VDZ erarbeiteten Roadmap zur Dekarbonisierung von Zement und Beton zeigen wir Handlungsstrategien in allen Bereichen der Wertschöpfungskette auf. 

 

Ein erheblicher Teil des CO₂ muss in den Zementwerken abgeschieden und dann einer Verwendung oder Einlagerung zugeführt werden (CCUS ). Wir benötigen also eine CO₂-Infrastruktur, um die Zementproduktion CO₂-neutral zu gestalten. Die Kosten für CCUS insgesamt hängen vom Einzelfall ab. Die CO₂-Abscheidung bei der Zementklinkerherstellung ist grundsätzlich mit einem höheren Energiebedarf verbunden. Zudem führt der Transport des CO₂ sowie dessen Verwendung oder Einlagerung zu einem zusätzlichen Aufwand. Dem können aber Erlöse entgegenstehen, wenn das CO₂ wieder zu neuen chemischen Grundstoffen umgewandelt
wird.

 

 

Wie weit ist die Zementindustrie auf dem Weg zur Klimaneutralität?
 

Christoph Müller: Seit 1990 ist es den deutschen Zementherstellern gelungen, die CO₂-Emissionen sowohl spezifisch als auch absolut in einer Größenordnung von 20 bis 25 % zu reduzieren. Entscheidend für diese Minderungserfolge waren neben Verbesserungen der thermischen Effizienz vor allem zwei Faktoren: Erstens die Senkung der Klinkergehalte im Zement und zweitens der verstärkte Einsatz biomassehaltiger alternativer Brennstoffe, durch die fossile Energieträger mehrheitlich ersetzt wurden. 

Bei der weiteren Minderung ihrer CO₂-Emissionen stößt die Zementindustrie jedoch zunehmend an Grenzen, denn insbesondere die prozessbedingten CO₂-Emissionen der Klinkerherstellung sind mit konventionellen Maßnahmen nur teilweise zu mindern. Da wir nun aber auch schon seit einigen Jahren daran arbeiten, kann ich feststellen: Eine klimaneutrale Betonbauweise ist möglich. Aber sie ist auch eine große Herausforderung. 

 

Heißt das denn, dass sich alle anderen darauf verlassen können, dass die Zementindustrie die Betonbauweise klimaneutral ausgestalten kann?
 

Christoph Müller: So einfach wird es nicht gehen. Es ist die Mitwirkung der gesamten Wertschöpfungskette von Bauherren und deren Planern und Architekten bis hin zur Bauausführung gefragt. Auch heute schon können CO₂-effiziente Zemente und Betone verwendet werden. Der mittlere Anteil des Portlandzementklinkers liegt bei etwa 70 %. Aber es geht auf jeden Fall noch weniger.

 

Können Sie uns Beispiele nennen? Wohin geht die Entwicklung?


Christoph Müller: Mit den neuen Portlandkompositzementen, die wir mit CEM II/C abkürzen, können kurzfristig etwa 20 % CO₂ eingespart werden. CO₂-effiziente Bauteile und Konstruktionen aus Beton bieten weitere Potenziale – jenseits der Handlungsmöglichkeiten der Zementhersteller. Das haben wir in unserer Roadmap auch angesetzt. Jedoch werben wir dafür, dass die teilweise von unserer Seite zurückhaltend angesetzten Einsparpotenziale noch mehr gehoben werden. Wir waren dort als Zementindustrie zurückhaltend, weil wir zunächst unsere eigenen Möglichkeiten ausschöpfen wollen. Aber am Ende bleiben eben aus heutiger Sicht etwas mehr als 10 Millionen von 20 Millionen Tonnen CO₂, die abgeschieden werden müssen, um sie dann entweder dauerhaft zu speichern oder um sie zu nutzen – beispielsweise indem das CO₂ wieder zu neuen chemischen Grundstoffen umgewandelt wird.

 

Die neuen Zemente werden doch sicherlich Veränderungen in der Betonbauweise mit sich bringen, oder?
 

Christoph Müller: Je weiter der Anteil des Portlandzementklinkers in den Zementen gesenkt wird, umso weniger lässt sich das vermeiden. Wahrscheinlich wird es weniger „all-purposeZemente“ geben. Die Diversifizierung der Leistungsfähigkeit von Beton wird zunehmen. Das bedeutet beispielsweise, dass die Nachbehandlung von Beton noch wichtiger wird als heute. 

 

Christian Glock: Da hat Herr Professor Müller recht. Die Betonbauweise wird sich weiter diversifizieren. Auch in der Konstruktion müssen wir neue Wege gehen. Und klar ist, wenn wir Beton effizienter einsetzen, dann muss das zielgerichteter und bauteilgerechter passieren. Wir können nicht mehr alle Probleme mit mehr Beton, mehr Zement und mehr Stahl lösen.

 

Herr Bechmann, stimmen Sie dem zu?


Roland Bechmann: Absolut! Gerade in den horizontalen Bauteilen wird viel zu viel Beton und Stahl verwendet. Davon müssen wir wegkommen. Derzeit werden durch die Konstruktionen von Decken, Flachgründungen und Dächern etwa 40 % der grauen Emissionen eines durchschnittlichen Gebäudes verursacht. Da können wir viel einsparen – mit gezielt angepassten Konstruktionen.

 

Wie geht das?


Roland Bechmann: Ein Vergleich gebauter Projekte zeigt, dass der Einfluss der Geschossdecken mit zunehmender Gebäudehöhe ansteigt und einen Anteil von bis zu 50 bis 65 % der tragwerksbedingten Emissionen erreichen kann. Bislang ist die Stahlbetonflachdecke das meistverwendete Deckensystem. Obwohl sie kein materialoptimiertes System darstellt, befördern der geringe Arbeits aufwand für Bewehrungs- und Schalungsarbeiten, die einfache Herstellung sowie die simple Integration von TGA -Elementen und eine geringe Aufbauhöhe die Verwendung. In Bezug auf Materialoptimierung, Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen ist das System der Flachdecke aber ein Rückschritt gegenüber früheren Systemen wie Kassettendecken. Damit will ich sagen: Wir kennen die Lösungen. Sie sind sofort anwendbar. Das ist das Gute.

 

Christian Glock: Dem stimme ich zu. Vergleicht man verschiedene Deckensysteme, ist die Flachdecke anderen Systemen hinsichtlich des CO₂-Äquivalentes unterlegen. Und die notwendigen Alternativen gibt es schon längst. Wir müssen also die Bauweise nicht neu erfinden, sondern wir müssen das Mögliche tun. Dazu brauchen wir die notwendigen Randbedingungen und Anreizsysteme. – Zuversichtlich stimmt mich, dass daran auch schon konzentriert gearbeitet wird – auch im DBV und im Deutschen Ausschuss für Stahlbeton. Nun müssen die notwendigen Randbedingungen geschaffen werden. Und das setzt politischen Willen und eine verpflichtende Regulatorik voraus. 

 

 

Vielen herzlichen Dank an Sie drei für das Gespräch!

Mehr Informationen

 

Ausführliche Informationen enthält das DBV-Heft 50 Band 1 Graue Emissionen und Ansätze zum Klimaschutz.

 

Über die Gesprächspartner

 

Roland Bechmann

 
ist Vorstand und Partner der Werner Sobek AG in Stuttgart. Als beratender Ingenieur und Tragwerksplaner projektiert er nachhaltige Hochbauten und überzeugt Investoren, klimaschonende Bauweisen einzusetzen.

 

Prof. Christian Glock
 

ist Universitätsprofessor am Fachgebiet für Massivbau der Rheinland-Pfälzisch Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU). Seine Erfahrungen als Geschäftsführer der damaligen Bilfinger Hochbau nutzt er heute, um mit seinem Team an klimaschonenden Bauweisen zu arbeiten und diese in die Praxis zu bringen. Er engagiert sich in zahlreichen nationalen und internationalen Gremien. 

 

Prof. Christoph Müller
 

ist Geschäftsführer der VDZ Technology gGmbH und Leiter Betontechnik im Forschungsinstitut der Zementindustrie in Düsseldorf. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der Entwicklung klinkereffizienter Zemente und sorgt in der nationalen und europäischen Normung mit dafür, dass es entsprechende Anwendungsregeln gibt. 

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